Geschichten des Nordens- Ibn A'Shabar's Bericht über sein Leben bei den Vjallwikern
Auszug aus den Berichten über die Fahrten des Händlers Ibn A'Shabar...
Ich muss zugeben, dass mich die Erkenntnis schleichend, aber umso schrecklicher ereilt hat. Die Erkenntnis, dass ich nie wieder Halmanika verlaßen würde. Dass ich nie wieder die Wüsten meiner Heimat sehen, nie wieder durch die glorreichen Städte wandeln und niemals eine Frau meines eigenen Volkes lieben und freien würde. Ich würde für immer in dieser Öede bleiben müsse, die für mich nur aus Bäumen, Bergen und Schnee bestehen zu schien. Ich fror fürchterlich, ganz gleich wie sehr ich mich in meine alte Decke wickelte. Annve und ihr Vater boten mir an, Kleidung nach der Art ihres Volkes machen zu lassen, doch ich lehnte in meinem Schmerz hochmütig ab. Das Essen schmeckte mir nicht, weder das Wildfleisch, noch die erdigen Wurzeln, die man dazu reichte. Kurz um es ging mir schlecht. Ihr war zwar kein Gefangener, man sperrte mich nicht ein und man band auch nicht mehr meine Glieder, doch es wäre auch gleich gewesen. Ich wünschte, man hätte mich getötet. Allzu oft überlegte ich, ob ich meine Seele nicht befreien sollte, von eigener Hand, da es niemand anderes tun würde. Doch ich konnte es nicht, so oft ich auch die Möglichkeit hatte. Denn man verwehrte mir nicht den Zugang zu Waffen aller Art oder hielt mich auf, wenn ich denn- was damals selten vorkam- umherstriff. Ich war tatsächlich aber überzeugt, dass ich so oder so sterben würde. Und es kam auch so, dass ich im ersten Winter krank wurde. Meine Haut begann zu glühen und ich zitterte am ganzen Leib. Ich hatte soetwas noch nie zuvor erlebt. Meine Nase war angeschwollen und mein Hirn schien sich zu verflüssigen. Vor meinen Augen tanzten Bilder, mein Vater, meine Mutter, meine Brüder Amad und Saiid und meine mir Versprochene Samira. So würde ich also enden, in diesem eisigen Land. Und niemand würde davon erfahren.
Mir ist nicht ganz bewusst, wie viel Zeit vergangen ist. Wie lange ich im Wahn war. Die Tage wurden bereits wieder länger, wenn auch nicht viel, als ich zum ersten Mal wieder klar dachte. Ich lag auf einer Liege, dick zugedeckt unter zahllosen Fellen und meine Augen wanderten verwirrt durch den Raum. Sah so etwas das Totenreich aus? Sollte mir das Paradies verwehrt bleiben, nur weil ich nicht in meiner Heimat gestorben war. Doch da beugte sich jemand über mich. Ich sah das Gesicht zunächst nur unscharf, da meine Augen ein wenig brauchten, um sich anzupassen. Es war Annve, die mich genau musterte. Ihre schlanken, sanften und doch starken Finger betasteten vorsichtig mein Gesicht. Sie drückte meine Wangenknochen ab und stieß tief in die Schläfe, so stark, dass ich erstickt aufschrie.
„Du spürst also wieder etwas. Das ist gut. Schmerz ist immer gut. Es bedeutet, dass du lebst.“
Leben? Ich? Wie war das möglich?
„Das weiß ich auch nicht genau. Vielleicht meine aufopferungsvolle Pflege. Immer hin habe ich viele Tage der Jagd bei dir verbracht.“
Hatte ich laut gesprochen? Wahrscheinlich. Aber was hatte sie gesagt? Annve war immer bei mir gewesen? Ich konnte mich nicht erinnern. Vielleicht ein wenig. An einen Schatten. Ich wusste es nicht mehr.
„Was...was...“
Mein Mund fühlte sich trocken an. Eigentlich hatte ich fragen wollen, was denn mit mir gewesen sei. Doch Annve verstand mich glücklicherweise falsch und setzte einen Krug Wasser an meine Lippen. Behutsam neigte sie das Gefäss, so dass mir das Schlucken einfacher gemacht wurde. Erst nach einigen Augenblicken gelang es mir richtig zu sprechen.
„Was war mit mir? Ich kann mich an nichts erinnern.“
Sie lächelte schwach.
„Kein Wunder, Ibn. Du hattest die schwerste Grippe, die jemals jemand aus unserem Dorf hatte. Wahrscheinlich sogar die schwerste im ganzen Klan. Du warst beinahe zwei...wie sagt ihr...Monate von Sinnen.“
Darüber musste ich erst einmal nachdenken. Ich kannte diese Krankheit nicht, aber sie musste wahrhaft scheußlich sein. Auf jeden Fall fühlte ich mich scheußlich. Wenn auch nicht unbedingt krank. Nur schwach und müde. Meine Augenlider flatterten Doch da gab es noch was, dass ich fragen musste.
„Hast du wirklich die ganze Zeit an meinem Bett gewacht?“
Annve lachte hell auf, mir fiel auf, wie schön ihre Stimme doch war.
„Beinahe, Ibn, beinahe. Immerhin bist du mein.“
Mit diesen Worten stand sie auf und ging hinaus. Und ich versank in einen schweren, schwarzen Schlaf.
Als die Schneefälle nachließen und die Sonne länger schien, begann ich meine ersten Gehversuche. Ich hatte mir endlich ein Vjallwiker-Gewand- Für mich hießen sie einfach so, auch wenn ich längst gelernt hatte, dass dieser Begriff falsch ist- geben lassen und ging die folgenden Wochen durch das Dorf. Ich sah mir alles nun genauer an. Viel genauer als ic hes vorher tat. Ich kann nicht genau erklären, weshalb dieser Sinneswandel plötzlich in mir geschah. Der Schmerz war noch in mir, aber er war nicht mehr so überwältigend. Vielleicht hatte ich das Gefühl diesen Leuten etwas zu schulden. Ich weiß es nicht genau, noch immer nicht. Doch ich erkannte zu dieser Zeit vielerlei. Ich erkannte welche geschickten Baumeister die Islifiri- so nannten sie sich selbst- waren. Die Dächer ihrer Holzhäuser waren so gedeckt, dass der Schnee nicht erdrückend schwer werden konnte, sondern aus eigener Kraft regelmäßig herunterrutschte. Ich sah, wie geschickt sie aus den Wäldern, Flüssen und Meeren sich holten, was sie zum leben brauchten. Lange saß ich auf einem Felsen in der Sonne und beobachtete einige Männer beim Fischen im Fluss. Sie verwendeten Netze aus Holzfasern und Spieße. Geschickt zogen sie einen großen Fisch aus dem Wasser, nur um gleich den nächsten zu fangen. Als sie mich bemerkten, winkte mir einer von ihnen zu und rief etwas. Ich schüttelte den Kopf, denn ich hatte es nie für nötig erachtet, die Sprache meiner- so hatte ich gedacht- Kerkermeister zu lernen. Aber der Vjallwiker machte durch Gesten deutlich, dass ich näher kommen sollte. Man begrüßte mich freundlich und wenig später stand ich auch in dem klaren Wasser des Baches und fischte. Später war ich müde, aber glücklich, aber auch beschämt. Ich hatte mich so in mein Leid vergraben und angenommen, dass alle Vjallwiker mich hassen würden und mich nur als nutzlosen Mitesser ansahen. Doch ich hatte mich getäuscht, das musste ich eingestehen. Ab diesem Tag half ich so gut ich konnte bei den Arbeiten im Dorf. Und am gleichem Abend bat ich Annve mir ihre Sprache beizubringen.
Ich lernte schnell, doch es war mühsam. Denn die Issprak ist schwierig für jemanden der nur die Laute meiner Heimat gewohnt ist. Diese Sprache scheint mit keiner mir bekannten Zunge verwandt. Ich erinnere mich einst in meiner Heimatstadt Gezirah einen elfischen Dialekt gehört zu haben, der ähnlich klang. Doch die Worte waren einzigartig. Aber Annve war eine geduldige Lehrerin. Sie lehrte mich wie ein Kleinkind die einfachsten Sätze, bis ich sie makellos sprechen konnte. Sie brachte mir bei wie man die Worte richtig beendete und wann man „Kvinna“ und wann „Kone“ sagte. Bei einer Lehrstunde scherzte ich, dass ihre eigene Schulzeit ja nicht so lang her sei, sie wisse daher ja wie es gehe. Da sah sie mich aus zusammengekniffenen Augen an, so dass die Saphire funkelten. Zuerst glaubte ich sie beleidigt zu haben.
„Was glaubst du, Ibnir, wie alt ich bin?“
Sie fragte das mit einer so unschuldigen Stimme, dass ich recht arglos antwortete.
„Du bist sicherlich nicht älter als zwanzig Jahre. Vielleicht noch ein wenig älter, aber nicht viel.“
Annve sah mich für einen Moment an, dann brach sie in schallendes Gelächter aus. Ich verstand sie nicht recht.Was war denn so lustig?
„Ibnir, Ibnir.“
Ibnir, so nannte sie mich seit dem sie mich unterrichtete. Es klang mehr nach ihrer Sprache, und ich nahm diesen Namen dankbar an, da ich nicht länger ein Fremder sein wollte, viel weniger wollte ich mich wie einer fühlen müssen.
„Ibnir, ich bin beinahe hundert Jahre alt.“
Es kam so knapp und schnell, vor allem war es unerwartet. Meine Mund stand wohl offen, und mein Gesichtsausdruck war wohl nicht der intelligenteste, denn sie lachte wieder. Doch es war kein spöttisches Lachen. Und ich musste eingestehen, dass ich töricht gewesen war. Ich hatte dieses Mädchen nach meinem Maßstäben gemessen und auch so behandelt. Dabei war sie um ein vielfaches älter als ich. Und wie alt war dann erst ihr Vater? Dabei war es doch nicht unbekannt, dass manche Elfenvölker so betagt wurden. Welch Narr ich doch immer noch war.
„Aber du hast nicht allzu unrecht, Ibnir. In meinem Volk gilt dieses Alter noch als Jung, und die Islifiri machen sich nicht viel aus dem Alter. Wir ehren nur die ehrwürdigen Alten wegen ihrer Weisheit. Aber wir sind uns auch bewusst, dass mit dem Alter auch Torheit kommen kann.“
Meine Wanderungen führten mich immer weiter in die Wälder. Die Jäger des Dorfes hatten mich gelehrt, wie ich die unförmige Schneeschuhe benutzen konnte, um den scheinbar immer liegenden Schnee leichter zu überwinden. Bald glitt ich auch schnell durch das Land. Es war so anders als meine Heimat. Meine Heimat war eine große endlose Wüste aus rötlich-gelben Sand, selten unterbrochen von blühenden und grünenden Oasen des Lebens. Hier aber, herrschten endlose Wälder und hohe Bergen, durch die sich reißende Flüssen fraßen. Manchmal kam ich auch über kalte Steppen, zu meist in der Nähe des Gebirgsmassives, dass man Gramurholdur nannte. Das, was mir zuvor als bedrohlich vorgekommen war, übte nun einen seltsamen Reiz auf mich aus. Es war eigenartig. Ich genoss die Natur, und als die Vjallwiker dies sahen, schienen sie sich zu verändern. Ich war kein Gast mehr, ich wurde zu einem von ihnen.
Ich möchte nicht behaupten, dass dies alles innerhalb kürzester Zeit gesehen wäre. So mag es erscheinen, doch vergingen Jahre, bis ich wirklich meinen Platz in dem Dorf einnahm. Jahre, die beschwerlich waren. Jahre, in denen ich oft auch dachte, ich hätte nie hier her kommen dürfen. Inzwischen beherrschte ich die Sprache, die Sitten und Gebräuche. Auch ich rief den Beschützer an, den Wolf. Auch ich begann mich vor den Stummen Monstern zu fürchten und die Geheimnisse des Stammes zu teilen. Doch mehr noch: Ich begann zu lieben.
Doch erlosch die Sehnsucht nie in mir, meine Heimat war in meinem Herzen, wenn sie auch das Herz nun teilen musste.
Eines Tages geschah etwas seltsames. Ich verließ morgens meine Hütte, die ich mit Annve gemeinsam bewohnte, als das ganze Dorf in Aufruhe zu sein schien. Als ich Annve danach fragte, antwortete sie nur:
„Es ist das Jahr des Jarls. Alle Hersir müssen zum Jarl und dort abermals Treue schwören. Zudem können sie dort Bitte stellen.“
Der Jarl. Der Häuptling der Häuptlinge war für mich nur eine ferne Persönlichkeit, von dem mit Faern erzählt hatte, mehr nicht. Ein vager Gedanke regte sich in mir. Ich ging an dem gleichen Tag und sprach mit Annves Vater, dem Hersir des kleinen Dorfes.
„Du reist morgen zum Jarl der Wölfe?“
„So ist es, mein Sohn. Weshalb fragst du?“
„Weil ich dich gern begleiten würde.“
So zogen wir in einer Gruppe von vielleicht 20 Männern dem Grammurholdur entgegen, an dessen Ausläufern sich die Hügelfeste befinden sollte. Tatsächlich kamen wir nach einigen Tagesmärschen dieser Feste entgegen. Sie trohnte hoch über den geschwungenen Hügeln, ihr massiver hölzerner Turm ragte gedrungen empor. Ich wusste inzwischen, dass die Vjallwiker ihre Werkzeuge verzaubert hatten, wenn sie auch ansonsten keine Magie verwendeten, und so wundersame Bauwerke schuffen. Die Feste des Jarls war ein herrliches Beispiel dafür. Die Schnitzerein waren zu fein, dass selbst die geschicktesten Hände sie hätten schnitzen können und die wuchtigen Baumstämme zu gerade, dass eine Axt sie so gehauen haben könnte. Schon eine Meile vorher begrüßten uns einige Abgesandte aus der Festung. Sie musterten mich mißtrauisch, aber vielmehr neugierig, entspannten sich aber als Faern auf sie einredete. Sie hatten wohl von mir schon gehört, das Rundohr, das zum Islifiri wurde. Ich betrachtete sie wohl ebenso eindringlich, wenn auch eher interessiert, als etwas anderes. Die Männer des Jarls waren alle in Wolfsfelle gehüllt, aber auffälliger noch, waren ihre beinah knielangen Kettenharnische. Das nordische Silber, Vjyallyd genannt, glitzerte in der tiefstehenden Sonne. Inzwischen wusste ich sehr wohl, was mein Vater auf diesem Kontinent gesucht hatte. Dieses wundersame Metall war es gewesen, dass mich hierher verschlagen hatte. Nun, nach einer Handvoll von Jahren, kannte ich die Geheimnisse dieses Volkes beinahe so gut wie es selbst. Und mein Vater würde wohl nie davon erfahren.
In der, mir riesig vorkommenden, Festung wurde jeder Gruppe ein Lagerplatz zu gewiesen. Nach und nach rief der Jarl die Hersir zu sich. Wir anderen saßen derweil beinander und erzählten uns Geschichten und Märchen. Dies ist etwas, das Vjallwiker wohl zu einer Kunst entwickelt haben. Man verbringt gerne Stunden am Abend damit, Sagen zu erzählen oder sie sogar zu singen. Jeder Vjallwiker hat eine wundervolle Stimme, klar und kräftig wie ein Instrument und jeder kann virtous damit umgehen. Wahre Meister sind jedoch die Skalden. Früher hätte ich sie Barden genannt, doch diese Skalden sind viel mehr als Barden. Sie sind die Weisen, sie erhalten die Vergangenheit in ihren Liedern am Leben und sie beraten mit ihrem Wissen die Hersir und die Jarle.
Es gibt viel worüber die Vjallwiker erzählen, doch etwas, das alle zum verstummen bringt, dass sind die stimmlosen Ungeheuer. Ich hätte eigentlich nie daran geglaubt, doch ich weiß es inzwischen besser. Dieses Land müssen die Vjallwiker teilen, sie teilen es mit einem eigenartigen Volk. Es sind wohl die größten Feinde dieses Volkes, fürchterliche Feinde. Denn sie haben keinen Schlachtruf, keine Kriegslieder und sie brüllen auch nicht vor schmerz. Sie haben keine Sprache, sondern sind einfach nur stumm. Und sie sind erbarmungslos. Viele Dörfen haben sie schon verbrannt, und ein Vjallwiker würde jede Gelegenheit nutzen, ein solches Wesen zu töten.
Nach einigen Tagen des Wartens kam der Moment, auf den ich insgeheim gehofft hatte: Der Jarl wünschte mich zu sehen. Ich folgte also Faern in die Viktihallan, die Siegeshalle, in der der Jarl der Wölfe residierte. Er war nicht ungewöhnlich für einen Vjallwiker, zu mindestens vom Körper wirkte er wie jeder andere Mann dieses Volkes. Doch sein Blick war bei weitem schärfer und unerbittlicher, dass merkte ich sofort. Doch da war noch ein Augenpaar, dass mich nicht einen Moment unbeobachtet ließ. Ich hatte von diesem Mann gehört, der Skalde des Jarls. Er war wohl einer der ältesten seiner Zunft und einer der Erfahrensten. Der Jarl ließ mich also näher kommen und ich grüßte ihn auf Vjallwiker-Art, in dem ich die linke Faust vor dem Herzen ballte und mich leicht, fast schon umerklich, verbeugte.
„Ich grüße dich, mein Jarl.“
„Und ich grüße dich, Ibnir mit den runden Ohren.“
Diesen Namen hatte ich so oft hören müssen, dass er mich eigentlich nicht störte. Im Gegenteil, es war ja die Wahrheit.
„Du lebst schon eine lange Zeit bei uns.“
Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Doch ich wusste genau, dass mich mindestens 4 Augen forschend taxierten.
„Ja, mein Jarl. Eine gute Zeit wie ich sagen muss.“
„Du hast eine Frau gefunden.“
„Ja, mein Jarl. Eine gute Frau.“
„Du bist ein guter Jäger und Kämpfer.“
Ob ich das war, das weiß ich nicht. Ich hatte mich behaupten können, mehr nicht. Aber das sagte ich nicht, die Vjallwiker erwarteten das ich zustimmte. Man war stolz auf seine Fähigkeiten in dieser Kultur.
„Ja, mein Jarl.“
„Dann bist du willkommen.“
Ein wenig verspätet dieses Willkommen, aber ich war dankbar.
„Ich danke dir, mein Jarl.“
Der Jarl nickte mir nur zu und wandte sich dann ab. Ich holte tief luft und rief ihm hinterher.
„Mein Jarl, ich bitte um eine Gunst.“
Alle schienen sich zu mir umzudrehen und mich anzustarren. Da ich keine Antwort erhielt, fuhr ich unbeirrt fort.
„Ich würde gerne eine Nachricht in meine Heimat schicken, auf dass man sich keine Sorgen um mich macht. Ich möchte meine Familie wissen lassen, dass ich mein Volk gefunden habe.“
Ich hatte meine Worte mir schon längst zurecht gelegt, sie beinhalteten alles, was Vjallwikern wichtig war. Familie, Heimat und Volk. Tatsächlich sah ich Mitgefühl in den glatten Zügen des Jarls, begleitet von Zögern. Er blickte kurz zu seinem Skalden, doch der hatte die Augen geschlossen und schien irgendetwas zu lauschen.
„Nun, Ibnir, ich gewähre dir gerne eine Gunst. Jede um die du bittest, denn du scheinst eine treue und tapfere Seele zu sein. Doch wisse, dass dieser Wunsch unmöglich zu erfüllen ist. Wem sollen wir diese Nachricht geben?“
Auch darauf hatte ich eine Antwort.
„Das nächste Schiff, dass ihr plündert. Gebt der Besatzung meine Nachricht und sie wird meiner Familie geben.“
Für einen langen Augenblick sah mir der Jarl an, dann schüttelte er den Kopf, langsam und bitter.
„Nein, Ibnir mit den runden Ohren, dies kann ich nicht erlauben.“
Damit endete meine Audienz beim Jarl...und wohl ein Teil meiner selbst.
Ich muss zugeben, dass mich die Erkenntnis schleichend, aber umso schrecklicher ereilt hat. Die Erkenntnis, dass ich nie wieder Halmanika verlaßen würde. Dass ich nie wieder die Wüsten meiner Heimat sehen, nie wieder durch die glorreichen Städte wandeln und niemals eine Frau meines eigenen Volkes lieben und freien würde. Ich würde für immer in dieser Öede bleiben müsse, die für mich nur aus Bäumen, Bergen und Schnee bestehen zu schien. Ich fror fürchterlich, ganz gleich wie sehr ich mich in meine alte Decke wickelte. Annve und ihr Vater boten mir an, Kleidung nach der Art ihres Volkes machen zu lassen, doch ich lehnte in meinem Schmerz hochmütig ab. Das Essen schmeckte mir nicht, weder das Wildfleisch, noch die erdigen Wurzeln, die man dazu reichte. Kurz um es ging mir schlecht. Ihr war zwar kein Gefangener, man sperrte mich nicht ein und man band auch nicht mehr meine Glieder, doch es wäre auch gleich gewesen. Ich wünschte, man hätte mich getötet. Allzu oft überlegte ich, ob ich meine Seele nicht befreien sollte, von eigener Hand, da es niemand anderes tun würde. Doch ich konnte es nicht, so oft ich auch die Möglichkeit hatte. Denn man verwehrte mir nicht den Zugang zu Waffen aller Art oder hielt mich auf, wenn ich denn- was damals selten vorkam- umherstriff. Ich war tatsächlich aber überzeugt, dass ich so oder so sterben würde. Und es kam auch so, dass ich im ersten Winter krank wurde. Meine Haut begann zu glühen und ich zitterte am ganzen Leib. Ich hatte soetwas noch nie zuvor erlebt. Meine Nase war angeschwollen und mein Hirn schien sich zu verflüssigen. Vor meinen Augen tanzten Bilder, mein Vater, meine Mutter, meine Brüder Amad und Saiid und meine mir Versprochene Samira. So würde ich also enden, in diesem eisigen Land. Und niemand würde davon erfahren.
Mir ist nicht ganz bewusst, wie viel Zeit vergangen ist. Wie lange ich im Wahn war. Die Tage wurden bereits wieder länger, wenn auch nicht viel, als ich zum ersten Mal wieder klar dachte. Ich lag auf einer Liege, dick zugedeckt unter zahllosen Fellen und meine Augen wanderten verwirrt durch den Raum. Sah so etwas das Totenreich aus? Sollte mir das Paradies verwehrt bleiben, nur weil ich nicht in meiner Heimat gestorben war. Doch da beugte sich jemand über mich. Ich sah das Gesicht zunächst nur unscharf, da meine Augen ein wenig brauchten, um sich anzupassen. Es war Annve, die mich genau musterte. Ihre schlanken, sanften und doch starken Finger betasteten vorsichtig mein Gesicht. Sie drückte meine Wangenknochen ab und stieß tief in die Schläfe, so stark, dass ich erstickt aufschrie.
„Du spürst also wieder etwas. Das ist gut. Schmerz ist immer gut. Es bedeutet, dass du lebst.“
Leben? Ich? Wie war das möglich?
„Das weiß ich auch nicht genau. Vielleicht meine aufopferungsvolle Pflege. Immer hin habe ich viele Tage der Jagd bei dir verbracht.“
Hatte ich laut gesprochen? Wahrscheinlich. Aber was hatte sie gesagt? Annve war immer bei mir gewesen? Ich konnte mich nicht erinnern. Vielleicht ein wenig. An einen Schatten. Ich wusste es nicht mehr.
„Was...was...“
Mein Mund fühlte sich trocken an. Eigentlich hatte ich fragen wollen, was denn mit mir gewesen sei. Doch Annve verstand mich glücklicherweise falsch und setzte einen Krug Wasser an meine Lippen. Behutsam neigte sie das Gefäss, so dass mir das Schlucken einfacher gemacht wurde. Erst nach einigen Augenblicken gelang es mir richtig zu sprechen.
„Was war mit mir? Ich kann mich an nichts erinnern.“
Sie lächelte schwach.
„Kein Wunder, Ibn. Du hattest die schwerste Grippe, die jemals jemand aus unserem Dorf hatte. Wahrscheinlich sogar die schwerste im ganzen Klan. Du warst beinahe zwei...wie sagt ihr...Monate von Sinnen.“
Darüber musste ich erst einmal nachdenken. Ich kannte diese Krankheit nicht, aber sie musste wahrhaft scheußlich sein. Auf jeden Fall fühlte ich mich scheußlich. Wenn auch nicht unbedingt krank. Nur schwach und müde. Meine Augenlider flatterten Doch da gab es noch was, dass ich fragen musste.
„Hast du wirklich die ganze Zeit an meinem Bett gewacht?“
Annve lachte hell auf, mir fiel auf, wie schön ihre Stimme doch war.
„Beinahe, Ibn, beinahe. Immerhin bist du mein.“
Mit diesen Worten stand sie auf und ging hinaus. Und ich versank in einen schweren, schwarzen Schlaf.
Als die Schneefälle nachließen und die Sonne länger schien, begann ich meine ersten Gehversuche. Ich hatte mir endlich ein Vjallwiker-Gewand- Für mich hießen sie einfach so, auch wenn ich längst gelernt hatte, dass dieser Begriff falsch ist- geben lassen und ging die folgenden Wochen durch das Dorf. Ich sah mir alles nun genauer an. Viel genauer als ic hes vorher tat. Ich kann nicht genau erklären, weshalb dieser Sinneswandel plötzlich in mir geschah. Der Schmerz war noch in mir, aber er war nicht mehr so überwältigend. Vielleicht hatte ich das Gefühl diesen Leuten etwas zu schulden. Ich weiß es nicht genau, noch immer nicht. Doch ich erkannte zu dieser Zeit vielerlei. Ich erkannte welche geschickten Baumeister die Islifiri- so nannten sie sich selbst- waren. Die Dächer ihrer Holzhäuser waren so gedeckt, dass der Schnee nicht erdrückend schwer werden konnte, sondern aus eigener Kraft regelmäßig herunterrutschte. Ich sah, wie geschickt sie aus den Wäldern, Flüssen und Meeren sich holten, was sie zum leben brauchten. Lange saß ich auf einem Felsen in der Sonne und beobachtete einige Männer beim Fischen im Fluss. Sie verwendeten Netze aus Holzfasern und Spieße. Geschickt zogen sie einen großen Fisch aus dem Wasser, nur um gleich den nächsten zu fangen. Als sie mich bemerkten, winkte mir einer von ihnen zu und rief etwas. Ich schüttelte den Kopf, denn ich hatte es nie für nötig erachtet, die Sprache meiner- so hatte ich gedacht- Kerkermeister zu lernen. Aber der Vjallwiker machte durch Gesten deutlich, dass ich näher kommen sollte. Man begrüßte mich freundlich und wenig später stand ich auch in dem klaren Wasser des Baches und fischte. Später war ich müde, aber glücklich, aber auch beschämt. Ich hatte mich so in mein Leid vergraben und angenommen, dass alle Vjallwiker mich hassen würden und mich nur als nutzlosen Mitesser ansahen. Doch ich hatte mich getäuscht, das musste ich eingestehen. Ab diesem Tag half ich so gut ich konnte bei den Arbeiten im Dorf. Und am gleichem Abend bat ich Annve mir ihre Sprache beizubringen.
Ich lernte schnell, doch es war mühsam. Denn die Issprak ist schwierig für jemanden der nur die Laute meiner Heimat gewohnt ist. Diese Sprache scheint mit keiner mir bekannten Zunge verwandt. Ich erinnere mich einst in meiner Heimatstadt Gezirah einen elfischen Dialekt gehört zu haben, der ähnlich klang. Doch die Worte waren einzigartig. Aber Annve war eine geduldige Lehrerin. Sie lehrte mich wie ein Kleinkind die einfachsten Sätze, bis ich sie makellos sprechen konnte. Sie brachte mir bei wie man die Worte richtig beendete und wann man „Kvinna“ und wann „Kone“ sagte. Bei einer Lehrstunde scherzte ich, dass ihre eigene Schulzeit ja nicht so lang her sei, sie wisse daher ja wie es gehe. Da sah sie mich aus zusammengekniffenen Augen an, so dass die Saphire funkelten. Zuerst glaubte ich sie beleidigt zu haben.
„Was glaubst du, Ibnir, wie alt ich bin?“
Sie fragte das mit einer so unschuldigen Stimme, dass ich recht arglos antwortete.
„Du bist sicherlich nicht älter als zwanzig Jahre. Vielleicht noch ein wenig älter, aber nicht viel.“
Annve sah mich für einen Moment an, dann brach sie in schallendes Gelächter aus. Ich verstand sie nicht recht.Was war denn so lustig?
„Ibnir, Ibnir.“
Ibnir, so nannte sie mich seit dem sie mich unterrichtete. Es klang mehr nach ihrer Sprache, und ich nahm diesen Namen dankbar an, da ich nicht länger ein Fremder sein wollte, viel weniger wollte ich mich wie einer fühlen müssen.
„Ibnir, ich bin beinahe hundert Jahre alt.“
Es kam so knapp und schnell, vor allem war es unerwartet. Meine Mund stand wohl offen, und mein Gesichtsausdruck war wohl nicht der intelligenteste, denn sie lachte wieder. Doch es war kein spöttisches Lachen. Und ich musste eingestehen, dass ich töricht gewesen war. Ich hatte dieses Mädchen nach meinem Maßstäben gemessen und auch so behandelt. Dabei war sie um ein vielfaches älter als ich. Und wie alt war dann erst ihr Vater? Dabei war es doch nicht unbekannt, dass manche Elfenvölker so betagt wurden. Welch Narr ich doch immer noch war.
„Aber du hast nicht allzu unrecht, Ibnir. In meinem Volk gilt dieses Alter noch als Jung, und die Islifiri machen sich nicht viel aus dem Alter. Wir ehren nur die ehrwürdigen Alten wegen ihrer Weisheit. Aber wir sind uns auch bewusst, dass mit dem Alter auch Torheit kommen kann.“
Meine Wanderungen führten mich immer weiter in die Wälder. Die Jäger des Dorfes hatten mich gelehrt, wie ich die unförmige Schneeschuhe benutzen konnte, um den scheinbar immer liegenden Schnee leichter zu überwinden. Bald glitt ich auch schnell durch das Land. Es war so anders als meine Heimat. Meine Heimat war eine große endlose Wüste aus rötlich-gelben Sand, selten unterbrochen von blühenden und grünenden Oasen des Lebens. Hier aber, herrschten endlose Wälder und hohe Bergen, durch die sich reißende Flüssen fraßen. Manchmal kam ich auch über kalte Steppen, zu meist in der Nähe des Gebirgsmassives, dass man Gramurholdur nannte. Das, was mir zuvor als bedrohlich vorgekommen war, übte nun einen seltsamen Reiz auf mich aus. Es war eigenartig. Ich genoss die Natur, und als die Vjallwiker dies sahen, schienen sie sich zu verändern. Ich war kein Gast mehr, ich wurde zu einem von ihnen.
Ich möchte nicht behaupten, dass dies alles innerhalb kürzester Zeit gesehen wäre. So mag es erscheinen, doch vergingen Jahre, bis ich wirklich meinen Platz in dem Dorf einnahm. Jahre, die beschwerlich waren. Jahre, in denen ich oft auch dachte, ich hätte nie hier her kommen dürfen. Inzwischen beherrschte ich die Sprache, die Sitten und Gebräuche. Auch ich rief den Beschützer an, den Wolf. Auch ich begann mich vor den Stummen Monstern zu fürchten und die Geheimnisse des Stammes zu teilen. Doch mehr noch: Ich begann zu lieben.
Doch erlosch die Sehnsucht nie in mir, meine Heimat war in meinem Herzen, wenn sie auch das Herz nun teilen musste.
Eines Tages geschah etwas seltsames. Ich verließ morgens meine Hütte, die ich mit Annve gemeinsam bewohnte, als das ganze Dorf in Aufruhe zu sein schien. Als ich Annve danach fragte, antwortete sie nur:
„Es ist das Jahr des Jarls. Alle Hersir müssen zum Jarl und dort abermals Treue schwören. Zudem können sie dort Bitte stellen.“
Der Jarl. Der Häuptling der Häuptlinge war für mich nur eine ferne Persönlichkeit, von dem mit Faern erzählt hatte, mehr nicht. Ein vager Gedanke regte sich in mir. Ich ging an dem gleichen Tag und sprach mit Annves Vater, dem Hersir des kleinen Dorfes.
„Du reist morgen zum Jarl der Wölfe?“
„So ist es, mein Sohn. Weshalb fragst du?“
„Weil ich dich gern begleiten würde.“
So zogen wir in einer Gruppe von vielleicht 20 Männern dem Grammurholdur entgegen, an dessen Ausläufern sich die Hügelfeste befinden sollte. Tatsächlich kamen wir nach einigen Tagesmärschen dieser Feste entgegen. Sie trohnte hoch über den geschwungenen Hügeln, ihr massiver hölzerner Turm ragte gedrungen empor. Ich wusste inzwischen, dass die Vjallwiker ihre Werkzeuge verzaubert hatten, wenn sie auch ansonsten keine Magie verwendeten, und so wundersame Bauwerke schuffen. Die Feste des Jarls war ein herrliches Beispiel dafür. Die Schnitzerein waren zu fein, dass selbst die geschicktesten Hände sie hätten schnitzen können und die wuchtigen Baumstämme zu gerade, dass eine Axt sie so gehauen haben könnte. Schon eine Meile vorher begrüßten uns einige Abgesandte aus der Festung. Sie musterten mich mißtrauisch, aber vielmehr neugierig, entspannten sich aber als Faern auf sie einredete. Sie hatten wohl von mir schon gehört, das Rundohr, das zum Islifiri wurde. Ich betrachtete sie wohl ebenso eindringlich, wenn auch eher interessiert, als etwas anderes. Die Männer des Jarls waren alle in Wolfsfelle gehüllt, aber auffälliger noch, waren ihre beinah knielangen Kettenharnische. Das nordische Silber, Vjyallyd genannt, glitzerte in der tiefstehenden Sonne. Inzwischen wusste ich sehr wohl, was mein Vater auf diesem Kontinent gesucht hatte. Dieses wundersame Metall war es gewesen, dass mich hierher verschlagen hatte. Nun, nach einer Handvoll von Jahren, kannte ich die Geheimnisse dieses Volkes beinahe so gut wie es selbst. Und mein Vater würde wohl nie davon erfahren.
In der, mir riesig vorkommenden, Festung wurde jeder Gruppe ein Lagerplatz zu gewiesen. Nach und nach rief der Jarl die Hersir zu sich. Wir anderen saßen derweil beinander und erzählten uns Geschichten und Märchen. Dies ist etwas, das Vjallwiker wohl zu einer Kunst entwickelt haben. Man verbringt gerne Stunden am Abend damit, Sagen zu erzählen oder sie sogar zu singen. Jeder Vjallwiker hat eine wundervolle Stimme, klar und kräftig wie ein Instrument und jeder kann virtous damit umgehen. Wahre Meister sind jedoch die Skalden. Früher hätte ich sie Barden genannt, doch diese Skalden sind viel mehr als Barden. Sie sind die Weisen, sie erhalten die Vergangenheit in ihren Liedern am Leben und sie beraten mit ihrem Wissen die Hersir und die Jarle.
Es gibt viel worüber die Vjallwiker erzählen, doch etwas, das alle zum verstummen bringt, dass sind die stimmlosen Ungeheuer. Ich hätte eigentlich nie daran geglaubt, doch ich weiß es inzwischen besser. Dieses Land müssen die Vjallwiker teilen, sie teilen es mit einem eigenartigen Volk. Es sind wohl die größten Feinde dieses Volkes, fürchterliche Feinde. Denn sie haben keinen Schlachtruf, keine Kriegslieder und sie brüllen auch nicht vor schmerz. Sie haben keine Sprache, sondern sind einfach nur stumm. Und sie sind erbarmungslos. Viele Dörfen haben sie schon verbrannt, und ein Vjallwiker würde jede Gelegenheit nutzen, ein solches Wesen zu töten.
Nach einigen Tagen des Wartens kam der Moment, auf den ich insgeheim gehofft hatte: Der Jarl wünschte mich zu sehen. Ich folgte also Faern in die Viktihallan, die Siegeshalle, in der der Jarl der Wölfe residierte. Er war nicht ungewöhnlich für einen Vjallwiker, zu mindestens vom Körper wirkte er wie jeder andere Mann dieses Volkes. Doch sein Blick war bei weitem schärfer und unerbittlicher, dass merkte ich sofort. Doch da war noch ein Augenpaar, dass mich nicht einen Moment unbeobachtet ließ. Ich hatte von diesem Mann gehört, der Skalde des Jarls. Er war wohl einer der ältesten seiner Zunft und einer der Erfahrensten. Der Jarl ließ mich also näher kommen und ich grüßte ihn auf Vjallwiker-Art, in dem ich die linke Faust vor dem Herzen ballte und mich leicht, fast schon umerklich, verbeugte.
„Ich grüße dich, mein Jarl.“
„Und ich grüße dich, Ibnir mit den runden Ohren.“
Diesen Namen hatte ich so oft hören müssen, dass er mich eigentlich nicht störte. Im Gegenteil, es war ja die Wahrheit.
„Du lebst schon eine lange Zeit bei uns.“
Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Doch ich wusste genau, dass mich mindestens 4 Augen forschend taxierten.
„Ja, mein Jarl. Eine gute Zeit wie ich sagen muss.“
„Du hast eine Frau gefunden.“
„Ja, mein Jarl. Eine gute Frau.“
„Du bist ein guter Jäger und Kämpfer.“
Ob ich das war, das weiß ich nicht. Ich hatte mich behaupten können, mehr nicht. Aber das sagte ich nicht, die Vjallwiker erwarteten das ich zustimmte. Man war stolz auf seine Fähigkeiten in dieser Kultur.
„Ja, mein Jarl.“
„Dann bist du willkommen.“
Ein wenig verspätet dieses Willkommen, aber ich war dankbar.
„Ich danke dir, mein Jarl.“
Der Jarl nickte mir nur zu und wandte sich dann ab. Ich holte tief luft und rief ihm hinterher.
„Mein Jarl, ich bitte um eine Gunst.“
Alle schienen sich zu mir umzudrehen und mich anzustarren. Da ich keine Antwort erhielt, fuhr ich unbeirrt fort.
„Ich würde gerne eine Nachricht in meine Heimat schicken, auf dass man sich keine Sorgen um mich macht. Ich möchte meine Familie wissen lassen, dass ich mein Volk gefunden habe.“
Ich hatte meine Worte mir schon längst zurecht gelegt, sie beinhalteten alles, was Vjallwikern wichtig war. Familie, Heimat und Volk. Tatsächlich sah ich Mitgefühl in den glatten Zügen des Jarls, begleitet von Zögern. Er blickte kurz zu seinem Skalden, doch der hatte die Augen geschlossen und schien irgendetwas zu lauschen.
„Nun, Ibnir, ich gewähre dir gerne eine Gunst. Jede um die du bittest, denn du scheinst eine treue und tapfere Seele zu sein. Doch wisse, dass dieser Wunsch unmöglich zu erfüllen ist. Wem sollen wir diese Nachricht geben?“
Auch darauf hatte ich eine Antwort.
„Das nächste Schiff, dass ihr plündert. Gebt der Besatzung meine Nachricht und sie wird meiner Familie geben.“
Für einen langen Augenblick sah mir der Jarl an, dann schüttelte er den Kopf, langsam und bitter.
„Nein, Ibnir mit den runden Ohren, dies kann ich nicht erlauben.“
Damit endete meine Audienz beim Jarl...und wohl ein Teil meiner selbst.
Jarel Wolfssänger - 24. Jun, 12:41
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